Sinn in der Arbeit – Teil 1: Arbeit ist mehr als nur ein Job.
Arbeit ist weit mehr als nur ein Mittel zum Zweck. Viele Menschen suchen in ihrem Beruf nicht nur finanzielle Sicherheit, sondern auch eine tiefere Bedeutung. Doch was passiert, wenn diese Bedeutung fehlt? Verschiedene Beispiele aus meiner Praxis zeigen typische Herausforderungen.
Beispiel 1
Eine Geschäftsführerin eines Büros für Umweltgutachten und Landschaftsplanung: Immer wenn sie sich an den Schreibtisch setzt, um einen Landschaftsplan zu kommentieren, merkt sie, wie die Energie zuerst aus ihrem Kopf weg geht und dann immer weiter nach unten sinkt, bis sie fast einschlafen könnte.
Beispiel 2
Ärztin, verheiratet, zwei Kinder stellt fest, dass sie immer mehr isst, immer dicker wird, sich morgens kaum mehr aus ihrem Bett aufraffen kann und den Tag nur noch als Last empfindet. Als wir anfangen über ihren beruflichen Weg, Studium, die erste Stelle an einem Krankenhaus zu reden, fangen ihre Augen an zu leuchten, ihre Stimme wird lebhaft, sie redet fast mit Händen und Füßen. Es ist, als ob die ganze Lethargie von der Frau abgefallen wäre.
Beispiel 3
Ein Inhaber eines Ingenieursbüros bittet mich um eine Beratung, weil er meint, dass er ein Marketing-Problem hat. Als ich die Ist-Situation beschreiben lasse, finde ich, dass er ganz ausgezeichnete Marketingstrategien hat, mir wird immer unklarer, warum ich überhaupt in sein Büro gebeten wurde. Als ich anfange, ihn etwas genauer nach seiner persönlichen Situation zu fragen, erzählt er mir u.a., dass er häufig nachts um 3.00 aufwacht und nicht mehr einschlafen kann und dass er verschiedene Arten von körperlichen Problemen hat. Schließlich erzählt er auch, dass er sich mit 20 Jahren vorgenommen hat, mit 40 Millionär zu sein. Jetzt ist er 41 und hat es geschafft, u.a. hat er mehrere teure Oldtimer und Sportwagen in der Garage stehen… Ich frage mich langsam, wer von uns beiden hier das Marketingproblem hat…
Die Coaching-Praxis zeigt eindrucksvoll, wie Menschen sich innerlich von ihrem Beruf entfremden. Eine Geschäftsführerin, die ihre Leidenschaft verliert, eine Ärztin, die durch fehlende Erfüllung in Lethargie verfällt, oder ein Ingenieur, der trotz Erfolg keinen inneren Frieden findet – sie alle stehen vor der Frage: Was gibt meiner Arbeit Sinn?
Die drei Beispiele verdeutlichen, dass Sinn in der Arbeit entscheidend für das individuelle Wohlbefinden ist. Eine bloße Zielerreichung reicht nicht aus, wenn die Arbeit nicht mit den eigenen Werten und Interessen übereinstimmt.
Etwas Statistik
Ergebnis des Gallup Engagement Index Deutschland 2023:
Die Zahl der Mitarbeitenden ohne emotionale Bindung in Deutschland ist auf dem höchsten Stand seit 2012. Fast ein Fünftel der deutschen Beschäftigten ist emotional nicht gebunden, was die deutsche Wirtschaft zwischen 132,6 und 167,2 Milliarden Euro an Produktivitätsverlusten kostet. Fast die Hälfte – 45 % – der deutschen Arbeitnehmenden ist entweder aktiv auf der Suche nach einem neuen Arbeitsplatz oder offen für neue Herausforderungen.
Was hat das Ganze mit Sinn zu tun? Was verbindet die Beispiele? Worüber reden wir überhaupt?
Definition Sinn
(Herder, philos.): „Sinn bezeichnet die Bedeutung, die Objekten oder bestimmten Geschehnissen des Lebens beigelegt wird.“ Geschehnisse werden also subjektiv interpretiert.
Der Philosoph und Systemtheoretiker Niklas Luhmann: Sinn verweist auf einen Zusammenhang über ein Geschehnis, über unser Tun hinaus. Etwas das größer ist, als wir allein.
SINN ist also vor allem Zusammenhang. Die Arbeit des Deutens und Interpretierens stiftet Zusammenhänge. Sinnlos bleibt, was ohne Zusammenhang ist.
Für Viele bedeutet es: etwas schaffen, was weiterlebt, ein Werk, was über die eigene Existenz hinausreicht.
Es gibt einen wichtigen Unterschied zwischen Sinn und Ziel:
Mit dem Erreichen von Zielen ist vielleicht ein Erfolgserlebnis, aber noch nicht unmittelbar Sinn verbunden. Man kann sein Leben lang Zielen hinterherjagen – und sie vielleicht auch erreichen und stellt sich am Ende auf einmal doch die Frage: Führe ich eigentlich das Leben, das ich führen will? – Bin ich eigentlich glücklich?
Lebenskunst besteht darin, mithilfe von Interpretationen denjenigen Zusammenhang herzustellen, der dem eigenen Leben Sinn gibt.
Nach Luhmann tritt Sinn immer in abgrenzbaren Zusammenhängen auf und verweist damit zugleich über den Zusammenhang, dem er angehört hinaus – d.h. er macht damit auch andere Möglichkeiten vorstellbar. Das klingt sehr theoretisch, hat aber sehr konkrete Konsequenzen
Was heißt das also?
Weitere Gedanken und Anregungen folgt im zweiten Teil meiner Artikel-Serie.
Mehr dazu: Sinn in der Arbeit – Teil 2
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