Sinn in der Arbeit – Teil 2: Entscheidungen treffen

Die Sache mit den Ent-Scheidungen

Ent-scheiden bedeutet: trennen – Schwert aus der Scheide ziehen

Dass ich heute abend hier vor Ihnen stehe, ist das Ergebnis einer spontanen Entscheidung als ich vor einigen Monaten die Webseite las. Ich hätte mich, ohne komplett das Gesicht zu verlieren, vor ein paar Wochen auch noch um-entscheiden können. Ich könnte jetzt auch gemütlich zuhause mit einem Krimi und einer Kanne Tee auf dem Sofa liegen, ich könnte einen netten Abend mit meinem Freund verbringen, kochen, essen und Rotweine probieren, eine Freundin besuchen, ich könnte den Abend nutzen, um meine Buchhaltungsunterlagen zu ordnen oder mein Badezimmer neu streichen – das mit der Buchhaltung ist sicher die unattraktivste Alternative. Und für Sie stellt sich die Situation gleich oder doch zumindest ähnlich dar. Und ich denke, jeder könnte spontan mindestens 10 Tätigkeiten nennen, die er jetzt statt hier zu sitzen, auch tun könnte.

Aber wir müssen eine Entscheidung treffen – und sei es nur, zuhause zu sitzen, zu verharren und über die Möglichkeiten nachzugrübeln – auch damit kann dieser Abend zugebracht werden – und dann ist er weg, vorbei.

Und das sind nur die relativ „kleinen Entscheidungen“.

Um wie viel schwerer wiegen Entscheidungen, die größere Konsequenzen nach sich ziehen: Einen ungeliebten Job zu kündigen, vielleicht auch nur um eine Versetzung nachzufragen; eine Existenzgründung in Erwägung zu ziehen….

Das bringt uns auf ein Problem, das ziemlich schwerwiegend werden kann: das der Überforderung, bzw. der Selbstüberforderung.

Egal, wie ich mich entscheide: andere Möglichkeiten, die ebenfalls einen Sinnzusammenhang bilden könnten, werden nie völlig ausgeschaltet, sondern nur vorübergehend neutralisiert.

Erleben und Handeln bedeutet unaufhörlicher Selektionszwang, der Zwang, Entscheidungen zu treffen. Und das kann manchmal ganz schön schwierig sein. Haben Sie eine Idee, wie viele Entscheidungen Sie am Tag so treffen müssen?

Es beginnt schon damit, dass Sie vielleicht morgens vor Ihrer to-do-Liste sitzen und überlegen, welche der vielen Aufgaben heute Priorität hat. Dann ruft ein Kunde an und hat ein Problem – und Sie entscheiden bewusst oder unbewusst, dem Vorrang zu geben und ihre eigene Prioritätenliste über den Haufen zu werfen. Das hat Konsequenzen.

Ich habe Coaching-Klienten, die sich völlig überfordert fühlen, und wenn man der Überforderung näher auf die Spur kommt, stellt sich oft heraus, dass sie eigentlich bestimmte Entscheidungen treffen müssten, dies aber aus Angst vor den Konsequenzen nicht tun.

Mein Kollege Günther Gross hat es einmal so formuliert: Ein riesiger Arbeitsberg ist in Wahrheit gar kein Berg, sondern ein Entscheidungstal.

Wir Menschen haben eine fatale Neigung, uns gerne mit Dingen zu beschäftigen, die unmittelbaren sichtbaren Output bringen. Auch hochbezahlte Führungskräfte lieben es z.T. die Post zu öffnen, anstatt über zentrale strategische Fragen nachzudenken.

Man sieht ein Ergebnis, die Konsequenzen sind nicht so gravierend. Wieviel schwerer ist dann die Entscheidung, über den Sinn der eigenen Arbeit nachzudenken.

Zur Zeit erleben wir viele Beispiel aus dem Management. Manager von Großkonzernen sind in den Medien, die z.B. wesentliche Entwicklungen an ihrem Markt nicht mitbekommen haben. Die meisten Wirtschaftsbosse sehen sich gerne allein von Vernunft, Logik und Intellekt bestimmt. Doch in der Welt des oberen Managements geht es keineswegs emotionslos und nüchtern zu. Kets de Vries, Psychoanalytiker und Wirtschaftsprofessor an einer französischen Eliteuniversität hat mehrere hundert Spitzenmanagerbefragt und beraten.

Seinen Untersuchungen zufolge sind in den höheren Positionen der Wirtschaft sehr häufig narzistische Persönlichkeiten anzutreffen. Sie haben durchaus Seiten, die die sie zu Führungsaufgaben in der Wirtschaft prädestinieren: Sie haben Freude an Innovation und Wettbewerb, sind nicht leicht einzuschüchtern, sind in der Lage das große Bild zu sehen und fesselnde Visionen der Zukunft zu entwickeln. Als kreative Strategen und gewandte Redner gelingt es ihnen leicht, Menschen zu faszinieren und mitzureißen.

Das Biotop großer Organisationen kommt aber auch ihren problematischen Seiten entgegen: Ihrem Bedürfnis nach Macht, Prestige und Glanz, dem Gefühl für Dramatik, ihrem Hang zu kurzlebigen, oberflächlichen Beziehungen.

Daher ist die seelische Not oft sehr groß:

Einsamkeit, Angst vor Machtverlust, unbefriedigende Liebesbeziehungen und Depressionen sind Probleme, mit denen sich sehr viele der meist männlichen Wirtschaftsführer herumschlagen.

Kämpfen wie ein Mann

Männer (aber z.T. auch Frauen) in Führungspositionen sind besonders gut darin ausgebildet „wie Männer zu kämpfen“. Und kämpfen wie ein Mann heißt, hart aufzutreten, Gefühle zu leugnen, den Verstand vorzuschieben, zu argumentieren, sich zu verteidigen, sich zu rechtfertigen, Schmerzen und Traurigkeit zu unterdrücken – der gesellschaftlichen Botschaft: Sei stark! zu folgen.

Gerade das Leugnen der Empfindsamkeit hat seinen Preis: dadurch verlieren gerade Männer oft den Kontakt zu ihrem Herzen. Hinter dem Schutzpanzer der Abwehr bleibt das Herz nicht unbeschadet, es wird eingeengt, eingeschnürt, ein Ring von Schwere oder Taubheit kann sich um die Brust legen – vielleicht nachts, wenn die Abwehr nachlässt, kann es sich in Herzrasen Luft machen. Obwohl im Zuge der Gleichberechtigung auch bei Frauen Herzerkrankungen und Herzinfarkte zugenommen, stehen die Männer immer noch vorn und haben immer noch eine deutlich geringere Lebenserwartung als Frauen.

Frauen leiden meist auf andere Weise. Da sie meist immer noch mehr als Männer mit Unsicherheit und einem Mangel an Selbstwertgefühl, gerade in Führungspositionen zu tun haben, rackern sie sich ab, manchmal, bis sie sich völlig ausgelaugt und kraftlos fühlen. Immer noch mehr geben…(in der Hoffnung, es würde endlich einmal jemand anerkennen, wie sie sich plagen, ohne dass sie es sagen müssen…)

Ich habe diese Gefühle und die entsprechenden Folgen, wie völlige Erschöpfung und damit verbunden Verzweiflung und Unsicherheit, das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren, schon bei Frauen erlebt, bei denen man von außen betrachtet sagen würde: na, die hat es doch bestimmt nicht nötig, die hat es doch geschafft. Und trotzdem hat der Kampf, außen nach Anerkennung zu suchen, die innen nicht wirklich vorhanden ist, tiefe Spuren, um nicht zu sagen: Krankheiten hinterlassen.

Noch einmal zurück zu den Führungsetagen

Leider ist die Bereitschaft zur Selbstreflexion in den Führungsetagen nicht sonderlich ausgeprägt (und das wäre die Voraussetzung, um die Frage nach dem Sinn zu stellen!). Und das durchaus mit gutem Grund: Das Eingeständnis von Fehlern wird in der Wirtschaftswelt in der Regel immer noch nicht als Stärke, sondern als Schwäche gesehen. Kets de Vries: „Diejenigen, die zum Coaching kommen, sind wahrscheinlich nicht die, die es am dringendsten bräuchten.“

Geht unser Wirtschaftssystem vielleicht am abgehobenen Gefühl für die eigene Großartigkeit zugrunde?

Kennen Sie auch solche Aussagen von Leuten, die schwer krank waren, z.B. einen Herzinfarkt erlitten hatten? Sie sagen oft: „Jetzt weiß ich was eigentlich wichtig ist in meinem Leben. Jetzt nehme ich mir endlich die Zeit dazu!“

Ist es eigentlich wirklich nötig, sich vorher so an die Kante zu bringen???

Das leitet außerdem über zur Frage, wie es um die Führungsqualitäten in solchen Situationen bestellt ist.

Was können Vorgesetzte, die vor allem am Bild ihrer Omnipotenz nach außen interessiert sind, ihren Mitarbeitern an Sinn vermitteln?

Studien des Münchener geva-Instituts zeigen:

Nicht Konjunkturkrise und Arbeitsplatzabbau treiben die Mitarbeiter deutscher Unternehmen in die innere Kündigung. Sondern es sind vor allem unmittelbare Faktoren der Führung, die für mangelndes Engagement, Demotivation und emotionale Probleme verantwortlich sind.

50% der Teilnehmer der Studie geben dem jeweils praktizierten Führungsstil der obersten Führungsriege vernichtende Beurteilungen. Die direkten Vorgesetzten kommen besser weg. Ihr Führungsverhalten wird von immerhin 60% der Befragten positiv bewertet.

Weiteres Ergebnis der Studie:

In Unternehmen mit einem akzeptierten Führungsstil lassen sich signifikant weniger Burnout-Symptome unter den Mitarbeitern ausmachen, die kollegiale Zusammenarbeit in den Teams ist besser und die Bereitschaft sich einzubringen, und damit die Bindung ans Unternehmen deutlich stärker.

Und das sind genau die Aspekte, die den Zusammenhang deutlich machen, die Sinn-Optionen anbieten.

Die Aufgabe, die sich jedem einzelnen stellt, und Arbeit hat einen ganz zentralen Einfluss.

Wozu arbeite ich?

• Karriere machen und möglichst viel Geld verdienen?
• Mich durch den Arbeitstag so gut wie möglich durchmogeln und die Energie in Freizeitaktivitäten stecken
• Oder suche ich in der Arbeit meine Berufung: Wünsche ich mir eine Arbeit, die eine Herausforderung darstellt, an der ich persönlich wachsen und mich selbst verwirklichen kann?

Weitere Gedanken und Anregungen folgt im zweiten Teil meiner Artikel-Serie.

Mehr dazu: Sinn in der Arbeit – Teil 3

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